21.09.19 – BDKH-Interview zum Thema Autokindersitze

Die Branche strafft den Gurt

Autokindersitze sind so wandlungsfähig und komplex wie kein anderes Kinderprodukt. Wo es in Entwicklung und Forschung hingeht, haben zwei international renommierte Kindersitz-Experten im Trend Forum der Kind + Jugend am Donnerstag beleuchtet. Einer der beiden Referenten, Richard Frank, Entwicklungsleiter Kindersitze weltweit bei Britax Römer, hat auch mit dem BDKH über die Mobilität von morgen gesprochen.

Richard.jpg

Kindersitzexperte: Richard Frank ist Entwicklungsleiter für Britax Römer-Kindersitze weltweit. © Britax Römer

 
Advansafix-Storm-grey.jpg

Kombinations-Kindersitze werden immer gefragter. © Britax Römer

 

Welche elektronischen Features sind bei Kindersitzen denkbar? Mittlerweile spricht man bereits vom „vernetzten Sitz“ …

Richard Frank: „Die Elektronik findet viele Einsatzfelder im Kindersitz. Damit die Funktionen eines Kindersitzes über ein mobiles Endgerät gesteuert werden, muss der Sitz gekoppelt, also vernetzt sein. Über die Endgeräte, sei es nun Fahrzeug oder Smartphone, sind Vernetzungen mit weiteren Nutzern hin zu einer Community möglich, um Informationen auszutauschen oder beim Hersteller abzurufen. Weiterhin geht es um Themen wie Installationskontrolle, um Sitzkomfort, Infotainment oder Kommunikationsmöglichkeiten im Fahrzeuginnenraum. Auch die Überwachung des Neugeborenen in der Babyschale wird ein Thema sein, etwa seiner Herz- oder Atemfrequenz. Das wird über kurz oder lang angeboten werden – möglicherweise bereits jetzt auf der Kind + Jugend in Köln; sicherlich aber die Sitzbelegungserkennung und die Alarmfunktion bei einem im Fahrzeug zurückgelassenen Kind.“

Welche weiteren Themen sind auf der Kind + Jugend im Bereich Autokindersitz wichtig?

Richard Frank: „Unverändert beschäftigen die Vorgaben der ECE R129/i-Size die Entwicklung. Da ist die Phase III nun abgeschlossen und entsprechend danach zugelassene Produkte sind auf der Messe zu finden. Auch Kombinations-Kindersitze spielen eine immer größere Rolle, da sie vom Endverbraucher häufiger nachgefragt werden. Diese Kombinationen adressieren das Segment der Neugeborenen bis zu einem Alter von ca. vier Jahren, aber auch die Bandbreite der Ein- bis Zehn- oder Zwölfjährigen. Diese Sitze sind noch sehr jung im Markt, zeigen aber eine starke und steigende Nachfrage. Früher mussten Gurte aufwändig aufgefädelt und neu eingebaut werden. Das ist bei der jüngsten Generation in unserem Haus nicht mehr so. Da wird ein Hebel umgelegt, das Gurtzeug bleibt komplett im Sitz und die Kopfstütze wird hochgezogen. Diese Neuerungen sind auch deshalb sinnvoll, weil eine Fehlbedienung durch Vereinfachung ausgeschlossen wird. Das ist für mich ein wesentlicher Bestandteil der Sicherheit.“

Blicken wir noch ein bisschen weiter in die Zukunft. Wie sieht der Kindersitz im Zeitalter des autonomen Fahrens aus?

Richard Frank: „… sofern man dann noch von Kindersitz spricht. Das autonome Fahren wird mit geänderten Sitzpositionen im Fahrzeug einhergehen und mit deutlich veränderten Unfallschweren, da sich die Fahrzeuge und die Fahrweisen verändern. Darauf wird sich auch die Entwicklung von Kindersitzen einstellen. Ins Blaue gesprochen kann man sich vorstellen, dass sich ein Auto in ein bewegtes Wohnzimmer verwandelt. Wenn Sie heute Zug fahren, dann schreibt Ihnen nicht zwingend jemand vor, wie Sie in diesem Sitz sitzen sollen. Theoretisch können Sie Ihren Sitz rotieren, können seitlich fahren, können rückwärtsgerichtet fahren, Sie können im Zug umhergehen. Und warum? Weil sich der Zug kontrolliert bewegt: Er fährt in eine vorbestimmte Richtung. Die Unfallwahrscheinlichkeit ist äußerst gering, was es ermöglicht, sich im Innenraum frei zu bewegen. In 15 Jahren, wenn autonomes Fahren Standard sein wird, werden Straßen eher einem Schienennetz ähneln. Der Innenraum ist nach wie vor begrenzt, aber muss ein Kindersitz immer noch nach vorne oder nach hinten gerichtet sein? Nein, muss er nicht. Muss es überhaupt noch ein Kindersitz sein? Nein, es kann theoretisch auch sein, dass ein Baby horizontal in einer Art Babybett oder einem Kinderwagen liegt.

Wenn man das heutige Lane Keeping Assist System anschaut, welches das Lenkrad zum Vibrieren bringt, wenn Sie die Mittellinie überfahren, aber Ihnen auch schon eine Unterstützung zur korrigierenden Lenkbewegung anbietet, dann befinden Sie sich schon mitten drin im autonomen Fahren. All diese kleinen Helferlein, die uns heute nur erinnern, was wir richtig machen sollen, werden in Zukunft genau dieselben Signale liefern, nur wird Ihnen dann die Entscheidung abgenommen, was zu tun ist. Das Szenario ist sehr real. Und die Geschwindigkeit, mit der diese Entwicklung stattfindet, ist immens.“