21.05.25 – Interview mit Lena Blaschke, Diplom-Psychologin, Neurowissenschaftlerin und Proaktivitätsexpertin

Von der Erziehung zur Beziehung

Wie können Eltern eine stabile Beziehung zu ihren Kindern aufbauen und eine Haltung entwickeln, die traditionelle Erziehungsmethoden überflüssig machen? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt Lena Blaschke, Diplom-Psychologin, Neurowissenschaftlerin und Proaktivitätsexpertin.

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Ein Kind ist die beste Einladung im Leben, sich selbst weiterzuentwickeln. © Anna Zhuk / stock.adobe.com

 
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Unsere Gastautorin Lena Blaschke. © Lena Blaschke

 

Hey Baby: Lena, Du hast die Plattform Elternwunder gegründet. Warum?

Lena Blaschke: In meiner Arbeit mit Eltern wurde deutlich, dass viele Schwierigkeiten und spätere Probleme mit den Kindern oder in der Elternrolle beim Übergang von der Baby- in die Kleinkindphase entstehen. Eltern vergessen häufig, ihre Perspektive auf das Kind zu verändern und ihr Verhalten entsprechend anzupassen. Die Elternwunder-Inhalte sind so konzipiert, dass die Eltern alles lernen, was sie brauchen, um ihr Kind so zu begleiten, dass sie erreichen, was sie sich für ihre Kinder wünschen: Kinder, die offen und lernfreudig durchs Leben gehen, selbstbewusst und resilient ein gelingendes Leben aufbauen. Und, dass die Eltern auch mit sich selbst zufrieden sind.

Hey Baby: Wird ein Kind durch „gute Erziehung“ kein glückliches, selbstbewusstes Kind?

Lena Blaschke: Erziehung kann nicht „gut“ sein. Die meisten Methoden, mit denen Eltern versuchen, ihre Kinder „gut zu erziehen“ tragen dazu bei, dass die Entwicklung der Kinder korrumpiert oder geschwächt wird und die Beziehung zwischen Eltern und Kind Schaden nimmt. Eltern scheitern dann liebevoll. Damit geht es weder dem Kind noch den Eltern gut.

Hey Baby: Wie sehen da Beispiele aus dem Alltag aus?

Lena Blaschke: Wenn Eltern zu viel helfen. Die kleine Tochter versucht das Glas mit Wasser aus dem Krug zu befüllen. Die Mutter sagt, „Komm ich mach‘ das für Dich. Nicht, dass es daneben geht.“ Ein Baby krabbelt unzufrieden herum, um an ein bestimmtes Spielzeug heranzukommen. Papa sieht das und reicht ihm das Spielzeug. Kinder wollen ausprobieren, sich einbringen, etwas schaffen. Aber diese Explorationsfreude wird dadurch gedämpft, dass der Handlungsspielraum geschlossen wird. Dem Kind wird „Nein“ vermittelt und „Das kannst Du nicht“. Eine einfache Lösung, um das anders zu machen ist z. B. die Faustregel: Auf jedes „Nein“ folgt ein „Ja“. Und „Lass Dein Kind alles selbst versuchen und schau, an welcher Stelle es Hilfe gebrauchen kann.“

Noch ein Beispiel: der zweijährige Sohn weint, weil er sich das Knie gestoßen hat. Mama nimmt ihn auf den Schoß, gibt ihm den Schnuller oder ein Bonbon zum Trost. Das Knie blutet nicht und sie sagt: „Dass ist ja gar nicht so schlimm, Schatz.“ Hier wird die Chance verpasst, dass das Kind ein gutes Selbstgefühl entwickelt und lernen kann, sich selbst zu regulieren. Zudem wird ihm vermittelt, dass es „falsch liegt“. Wenn ein Kind weint, dann ist es immer schlimm. Es ist wichtig, das Kind zu spiegeln: „Du hast Dich gestoßen, das tut weh!“. Dann begleitet man das Kind dabei sich zu beruhigen mit Worten wie „Schau, jetzt hast Du aufgehört zu weinen und es tut schon weniger weh“. Schnuller und Bonbon helfen nicht dabei, Selbstregulation zu üben.

Hey Baby: Das hört sich niederschmetternd an. Wie kann es denn sein, dass so viele Eltern „liebevoll scheitern“?

Lena Blaschke: Das hat viele Gründe. Wichtig ist, dass keine Schuldzuweisung an die Eltern geht. Denn die heutigen Eltern kommen aus Generationen, die von ihren Eltern auch nicht gelernt haben, ihre Gefühle zu benennen, sich gut zu spüren und auf dieser Grundlage ein gutes Vorbild und ein guter Spiegel für ihre Kinder sein zu können. Wird einem das bewusst, ist es aber wichtig, dass man fortan die Verantwortung übernimmt und lernt, wie man es besser machen kann.

Viele Eltern machen sich zudem Vorwürfe, dass sie „liebevoll scheitern“. Sie glauben, dass sie ihren Instinkt verloren haben, der ihnen sagt, wie sie mit dem Kind am besten umgehen sollen. Wir Menschen haben diese Instinkte aber nicht. Bei uns sind das Lernprozesse. Und da wir in immer kleineren Familien aufwachsen, können wir nicht mehr bei Mama lernen, wie sie mit den anderen sechs Geschwistern umgeht. Auch ist es ein Trugschluss, dass endlose Liebe, die wir für unsere Kinder empfinden, ausreiche. Liebe braucht Umsetzungskompetenz, damit sie beim Kind wirklich ankommt. Wenn die Umsetzungskompetenz fehlt, dann verfallen wir – gerade in den entwicklungskritischen Momenten z. B. in der Autonomiephase – in alte Muster und tun, was wir in unserer „Erziehung“ erfahren haben: wir werden selber laut, wütend, sind genervt, wissen uns auch nicht mehr zu helfen und erpressen dann mit „wenn Du jetzt nicht... dann“-Sätzen unsere Kinder oder bestrafen sie. Das schadet der Beziehung.

Hey Baby: Wie schafft man es also, gut in der Elternrolle anzukommen und das Kind gut zu begleiten?

Lena Blaschke: Am besten macht man sich schon ab der Geburt bewusst, dass das Kind ein hochkompetentes Gegenüber ist. Auch wenn es zunächst komplett abhängig ist. Dann sollte man darauf achten, dass die Explorationsfreude, die jedes Baby, jedes Kind in unendlichem Maße in sich trägt, nicht zerstört wird. Weiterhin kann man lernen, die Perspektive und Bedürfnisse der Kinder zu verstehen. Und, damit es mit der Umsetzung dann auch klappt: Ein Kind ist die beste Einladung im Leben, sich selbst weiterzuentwickeln. Je besser wir in Kontakt mit uns selbst kommen, desto besser können wir auch in den Kontakt mit unseren Kindern gehen.