16.07.25 – BDKH und IFH Köln
Ausverkauf europäischer Standards
Immer mehr Kinderausstattung landet über asiatische Online-Plattformen auf dem deutschen Markt. Doch viele importierte Produkte bergen ein hohes Sicherheitsrisiko. Der Bundesverband Deutscher Kinderausstattungs-Hersteller e.V. (BDKH) appelliert an Familien, sich an europäischer Produktqualität zu orientieren.
Eltern wählen einerseits Kinderprodukte akribisch nach Stiftung Warentest-Urteilen aus und achten dabei auf Schadstoffe in Mikrogramm-Mengen – und shoppen wenig später „wie ein Millionär“ auf Temu, Shein und Wish weiter. Immer häufiger bestellen sie Erstausstattung wie Schnuller, Babykleidung, Spielzeug und sogar Autokindersitze direkt aus China. Denn die Preise und Rabatte sind unschlagbar, zumal Kaufkraft und Haushaltsbudget spürbar schmäler geworden sind. Auf den Asia-Plattformen gibt es die stark subventionierten Produkte fast geschenkt, lieferkostenfrei und scheinbar mit großem Rabatt. Wer könnte da widerstehen?
Marktplätze aus Fernost
„Bei Temu hat sich die Rate derjenigen, die seit 2022 dort schon mal bestellt haben, fast verdreifacht, bei Shein hat sich die Quote der regelmäßigen Käufer mehr als verdoppelt. Die Plattformen haben in kürzester Zeit enorm hohe Reichweiten erzielt“, berichtet Dr. Ralf Deckers, Bereichsleiter Customer Insights des IFH Köln, bei einem BDKH-Workshop im März 2025. Für den Kauf von Kinderprodukten bevorzugen 56 % der Befragten bei Online-Marktplätzen zwar nach wie vor Amazon und 36 % weitere etablierte Online-Anbieter – aber bereits 8 % der Befragten präferieren bei der Kinderausstattung Anbieter mit Waren aus Asien. Und die Marktplätze mit Produkten aus Fernost wachsen weiter. „Eigentlich dürften die Leute nach allem, was sie sagen, dort gar nicht kaufen. Denn sie sind wahnsinnig genervt von der Werbung und auch hochgradig skeptisch, was die Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Plattformen angeht“, so Dr. Deckers. „Das Paradox ist: Sie kaufen trotzdem.“
Kampf um Kundschaft
Gleichzeitig wird der Kampf um die preisbewusste Kundschaft heftiger. Seit Kurzem ist TikTok-Shop in Deutschland als neuer Player im Social Commerce am Markt. Im Mai startete zudem Amazon Haul in Großbritannien in einer Testversion. Ein Format, das voraussichtlich auch für Deutschland geplant ist. Das Konzept, das sich deutlich vom üblichen Amazon-Auftritt unterscheidet, ist eine gezielte Kampfansage an Portale wie Temu oder Shein. Amazon Haul („haul“ bedeutet Beute oder Fang) bietet einen schier endlosen Einkaufsbummel in einer Schnäppchenwelt ohne Markenprodukte mit vielen kuratierten Angeboten.
Deutsche Händler fühlen sich nach einer ECC Köln-Umfrage derzeit noch nicht von Marktplätzen mit Waren aus Asien oder von TikTok Shop bedroht. Aber sie ärgern sich – v. a. darüber, dass die vielen Vorgaben für europäische Unternehmen nicht auch für die Plattformen aus Fernost gelten. Und sie erwarten in der Mehrheit, dass die hiesige Politik bzw. der Gesetzgeber regulierend eingreift. In 81 % der Fälle wird sogar die Überzeugung geäußert, dass der Markt es regeln würde, wer sich letztlich im Handel durchsetzen wird.
Hersteller und Händler unter Druck
Das könnte zu einer bösen Überraschung werden. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) meldete im März 2025, dass in Deutschland bis Ende dieses Jahres wohl fast 26.000 Unternehmen pleite gehen werden. Damit steige die Zahl der insolventen Unternehmen schon im vierten Jahr in Folge. Ein Ende des Trends sei noch nicht in Sicht, so IW. Auch Hersteller und Händler stehen bei uns massiv unter Druck. Während europäische Unternehmen neben diversen Krisen unter strenger Regulierung und Bürokratie ächzen, müssen sie zusehen, wie chinesische Händler täglich tonnenweise staatlich subventionierte Produkte in den Markt schwemmen. Die Drittstaatenhändler halten sich oft nicht an die hier geltenden Sicherheitsvorgaben – und führen damit massenweise illegale Produkte ein. Sie belasten mit der Luftfracht um die halbe Welt die Klimabilanz, umgehen den Zoll und unterlaufen den fairen Wettbewerb. Darüber hinaus werden die Rechte der Käufer regelmäßig missachtet, indem Retouren-Wünsche nicht akzeptiert, der Kaufpreis nicht zurückerstattet wird oder teils hohe Rücksendekosten anfallen. Zurück bleiben jede Menge Ärger und eine miese Umweltbilanz.
Konkurrenzkamp verschärft sich
„Behörden, Verbraucherschützer und Industrieverbände wie wir kritisieren das unzulässige Vorgehen von Asia-Marktplätzen schon seit Langem. Leider reagiert die europäische und nationale Gesetzgebung nur sehr langsam auf die Wettbewerbsverzerrungen und ständigen Regelbrüche der Drittstaatenhändler“, betont Michael Neumann, Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Kinderausstattungs-Hersteller e.V. (BDKH). „Unsere heimischen Unternehmen stecken nicht nur viel Zeit und Geld in die Forschung und Entwicklung von Qualitätsprodukten, sondern auch in die Einhaltung von Umwelt- und Verbraucherschutzauflagen. Deshalb ist es völlig unverständlich, dass chinesische Plattformen wie Temu – an allen Vorschriften vorbei – massenhaft Waren auf den europäischen Markt verkaufen. Es ist zu erwarten, dass Europa für chinesische Händler durch den Handelskrieg zwischen den USA und China mit mittlerweile astronomisch hohen Zöllen noch mehr als bislang ins Visier rückt. Dadurch wird sich der Konkurrenzkampf weiter verschärfen und die hiesige Industrie noch mehr treffen. Wir appellieren an junge Familien, sich gerade bei Sicherheitsprodukten für Kinder an der gewohnt hohen europäischen Markenqualität zu orientieren, um auf der sicheren Seite zu sein.“
Hohe Sicherheitsmängel
Zahlreiche Testkäufe von verschiedenen Organisationen und Unternehmen weisen nach, dass die von Temu & Co. angebotenen Produkte oft nicht den Sicherheitsvorschriften entsprechen. Stiftung Warentest untersuchte im März sieben in Deutschland aktive Online-Marktplätze. Eingekauft wurden von Händlern mit Sitz in China je drei Arten von Elektrogeräten – eine Powerbank, einen Haartrockner und ein USB-Ladegerät. Das Ergebnis: Die Defizite der „Schnäppchen“ sind groß. Stromschlag, Brandgefahr, falsche Produktangaben, technische Mängel. Eine Studie der spanischen Allianz für Kinderverkehrssicherheit (AESVi) deckte im vergangenen Jahr schwerwiegende Defizite bei direkt importierten Kinderprodukten auf: AESVi testete zehn Autokindersitze, die in Spanien über Online-Plattformen u. a. aus Asien gekauft worden waren. Joan Forrellad, Generalsekretär der AESVi und Manager im Bereich Forschung, Entwicklung und Design bei der Janè Group, beschreibt die erschreckenden Ergebnisse: „Keiner der erworbenen Autokindersitze hätte unter den geltenden Bedingungen der EU zertifiziert werden können. Bei den dynamischen Tests brachen Schnallen, lösten sich Gurte, die Dummies flogen aus dem Sitz. In einer realen Unfallsituation hätte dies zu schweren Verletzungen im Nackenbereich, im Bauch und Brustkorb eines Kindes geführt. In 60 % der Fälle fehlte die europäische Zulassungsnummer, in 70 % der Fälle die gesetzlich vorgeschriebene Produktkennzeichnung. Keiner der Autokindersitze hatte eine Zollkontrolle durchlaufen und keiner erfüllte letztlich die Vorgaben der EU für Kinderrückhaltesysteme.“