19.05.21 – Gastbeitrag

Modehandel 2030: Wie sieht die Zukunft aus?

Wie sieht der Modehandel 2030 aus? Anhand der Studie „Fashion 2030 – Sehen, was morgen Mode ist“ von KPMG in Kooperation mit dem EHI beleuchtet unsere Gastautorin Heike Scholz die Entwicklungen.

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Die Studie „Fashion 2030 – Sehen, was morgen Mode ist“ beleuchtet, wie der Modemarkt im Jahr 2030 aussehen wird. © Victoria Chudinova/stock.adobe.com

 
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Unsere Gastautorin Heike Scholz. © Heike Scholz

 

Der Modehandel kann seit Jahren ein zwar überschaubares, aber stetiges Umsatzwachstum aufweisen. Allerdings wird dabei der Umsatzanteil des Onlinehandels deutlich stärker und folglich der des stationären Handels immer schwächer. Bereits in zehn Jahren wird der Mode-Onlinehandel einen ebenso hohen Marktanteil aufweisen wie Modegeschäfte vor Ort, so eines der Ergebnisse der Studie „Fashion 2030 – Sehen, was morgen Mode ist“ von KPMG in Kooperation mit dem EHI.

„Für den Handel bedeutet der Umsatzrückgang im stationären Bereich, dass er seine stationären Flächen reduzieren muss“, so Marco Atzberger, Mitglied der Geschäftsleitung EHI. Ein Dilemma, denn der Großteil der Kundschaft bevorzugt trotz aller Online-Alternativen das Modegeschäft vor Ort für seinen Einkauf. Mit 16,5 Mrd. Euro Umsatz erwirtschaftet der Online-Modehandel 2020 bereits 25 % des gesamten Modeumsatzes von rund 66 Mrd. Euro. Diesen Anteil wird er in den nächsten zehn Jahren verdoppeln, erwarten die Experten von KPMG und EHI. Die prognostizierten 79,2 Mrd. Euro Jahresumsatz 2030 sollen zu gleichen Teilen auf Online und stationäre Geschäfte entfallen.

Um sich hier richtig zu positionieren, stehen dem Textilhandel neben Flächenreduktionen auch strategische Veränderungen in puncto Nachhaltigkeit und Digitalisierung bevor. Konzepte wie Kreislaufwirtschaft (Recycling) oder auch Re-Commerce (Secondhand) gehören ebenso zu den Ansprüchen der Kundschaft wie ein nahtloses (Kanal-unabhängiges) Einkaufserlebnis oder eine gezielte Kundenansprache.

Flächenreduktion im Modehandel

Da der Marktanteil des Online-Modehandels stärker steigt als der des gesamten Modemarktes, wird es zu einem Schereneffekt für den stationären Bekleidungseinzelhandel kommen – sofern sich nicht entscheidende Parameter wie Ladenmieten ändern. Den Fixkostenanteil im stationären Bereich dauerhaft zu senken, kann zu einer Harmonisierung beider Vertriebskanäle führen und massive Kannibalisierungseffekte verhindern, so die Studienautoren. Die Verkleinerung der Handelsflächen wird Kaufhäuser und mehrgeschossige Formate am stärksten treffen. Die Interviews mit Handelsexpertinnen und Handelsexperten zeigen, dass der Handel bis zum Jahr 2030 eine Flächenreduktion von etwa 50 % erwartet und antizipiert in der Spitze Schrumpfungen von bis zu 70 %. Die aktuelle Krise bietet dem Modehandel aber auch ein größeres Angebot an attraktiven Mietflächen und damit die Chance, sich durch eine strategische Bereinigung der eigenen Filialnetze, eine Flächenanpassung und eine zielgruppengenaue Ausdifferenzierung der Konzepte – in Verbindung mit smarten digitalen Lösungen – zukunftsfähig aufzustellen.

Gelungenes Einkaufserlebnis

Für ein gelungenes Shopping-Erlebnis müssen die Innenstädte vital und attraktiv sein und sollten Entertainment bieten. All das verlangt eine Kooperation aller beteiligten Akteure vor Ort und die Zusammenarbeit mit einer konzeptionell ausgerichteten Stadtentwicklung. Um die individuelle Kundentreue zu erhöhen und echtes Vertrauen aufzubauen, muss der Modehandel stärker in Emotionalität investieren und IT-Lösungen nutzen. Ob im Laden oder im Netz, die Kundschaft wünscht ein zielgruppengerechtes und nahtloses Einkaufserlebnis, was für Handelsunternehmen bedeutet, die Systeme geschickt miteinander zu verknüpfen. Auch die Verfügbarkeit und das Auffinden von Kleidungsstücken in der eigenen Größe spielen eine erhebliche Rolle im stationären Modehandel. So geben jeweils 42 % der Kundschaft an, dass sie öfter stationär einkaufen würden, wenn dies gesichert wäre. Bei aller technologischer Unterstützung: Der Mensch bleibt wichtigster Faktor im Handel, hierüber sind sich 88 % einig. Für 60 % der Konsumenten werden Begegnungen mit Menschen in einem Ladengeschäft zunehmend wichtig.

Nachhaltigkeit

Für fast die Hälfte der befragten Konsumenten und Konsumentinnen (46 %) ist Nachhaltigkeit heute schon ein lohnendes Konzept. Dazu zählen auch Re-Commerce und Secondhand. 34 % der Kundschaft kaufen bereits gebrauchte Kleidung, weitere 28 % können es sich vorstellen. Anlassbezogen kann sich ein Großteil zudem vorstellen, Kleidung zu leihen.

Der Trend Secondhand-Kleidung hat das Potenzial, in den kommenden zehn Jahren einen Marktanteil von bis zu 20 % auf sich zu vereinen und damit zu einem signifikanten Marktsegment im Fashionhandel aufzusteigen. Wesentliche Treiber sind neben der Nachhaltigkeitsdebatte die Digitalisierung vom „Secondhand-Geschäft um die Ecke“ sowie die großen Online-Mode-Plattformen, die diesen Markt für sich entdecken und damit die Modelle temporärer Nutzung immer stärker ins Bewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten bringen.

Beim Thema Kreislaufwirtschaft bzw. Recycling von Rohstoffen aus gebrauchter Kleidung engagieren sich viele Unternehmen bereits in nicht Gewinn-orientierten Initiativen und Forschungsprojekten, um die Technologien zu entwickeln. Im Jahr 2030 werden vermutlich auch aufgrund gesetzlicher Initiativen viele Bekleidungsartikel aus recycelten textilen Rohstoffen beziehungsweise Fasern hergestellt werden, was die Lieferketten substanziell verkürzen würde.

„Automatisierte Faserrückgewinnung, steigende Lohnstückkosten in Fernost und weniger Verbrauchstextilien, das ist der Ausgangsstoff für eine perspektivische Wiederbelebung der Textilproduktion in europanahen Ländern wie auch in Europa selbst“, so Stephan Fetsch, Head of Retail EMA bei KPMG. Zwar spielt Kreislaufwirtschaft wegen der gegenwärtigen geringen Verfügbarkeit noch keine große Rolle, zeigt aber großes Potential: 28 % haben bereits recycelte Textilien erworben, über 50 % stehen dem aber positiv gegenüber.

In der Verantwortung für Nachhaltigkeit sieht die Kundschaft den Handel und die Hersteller. Diese wiederum würden sich wünschen, dass Konsumentinnen und Konsumenten durch Verhaltenswechsel den Aufschwung von Re-Commerce einleiten. Neuen Compliance-Richtlinien wird für die Entwicklung des Re-Commerce-Markts eine beschleunigende Wirkung zukommen.