04.07.21 – Interview mit BTE-Hauptgeschäftsführer Rolf Pangels

Historische Umsatzeinbrüche im Modehandel

Eine der am härtesten betroffenen Branchen der Corona-Pandemie ist der Modehandel. Wie schlimm es wirklich ist und auf was wir uns zukünftig einstellen müssen, erläutert BTE-Hauptgeschäftsführer Rolf Pangels im Interview mit baby&junior.

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Die gesamte Modebranche hat durch die Corona-Pandemie extrem gelitten. © CIFF Kids

 
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BTE-Hauptgeschäftsführer Rolf Pangels berichtet über die aktuelle Situation des Modehandels. © BTE

 

baby&junior: Herr Pangels, seit Anfang 2020 herrscht im Modehandel Ausnahmezustand. Wie schlimm ist es wirklich?

 Rolf Pangels: Die mit der Corona-Ppandemie einhergehenden Schließungen der Geschäfte haben dem stationären Modeeinzelhandel historische Umsatzeinbrüche beschert. Zeitweise brachen die Umsätze um 80 bis 90 % ein. Während der Phasen des harten Lockdowns gingen jede Woche etwa eine Milliarde Euro an Umsatz verloren. Die Modebranche hat dabei nicht nur eine katastrophale Winter-Saison 2020/2021 mit hohen Umsatzverlusten und immer noch hohen Beständen unverkaufter Ware hinter sich, sondern auch eine sehr problematische Frühjahrssaison 2021. Auch die seit dem 8. März 2021 erlaubten Möglichkeiten zum Öffnen der Geschäfte, wie z. B. Click & Meet, haben die Sorgen und Nöte des stationären Modehandels nicht wirklich verbannt. In den allermeisten Geschäften reichten die Verkaufserlöse nicht einmal aus, um die anfallenden Kosten für Personal, Miete und Strom zu decken. Viele Händler und Unternehmen haben zwischenzeitlich ihre finanziellen Rücklagen und Reserven aufgebraucht. Die Gefahr vermehrter Insolvenzen steigt von Tag zu Tag. Und vor allem auch die Mitarbeiter der Branche haben immer mehr Angst um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze.

baby&junior: Was läuft Ihrer Ansicht nach immer noch falsch bzw. was hat die Politik versäumt?

Rolf Pangels: Sicherlich kann und darf man der Politik nicht vorwerfen, alles falsch eingeschätzt bzw. gemacht zu haben, dazu war und ist die Pandemie in vielerlei Hinsicht zu volatil. Was aber massiv zu kritisieren ist, ist vor allem die Hinhaltetaktik und das ständige Ändern von Beurteilungsmaßstäben bezüglich Geschäftsöffnungen bzw. -schließungen. Mal war bzw. ist eine Inzidenzzahl von 100 oder 50 entscheidend, dann 35, dann der R-Wert oder neue Mutationen. Mal galten/gelten Abstandregelungen von 20 m² pro Kunde im Geschäft, ein anderes Mal muss für jeden Kunden 20 m² Platz sein. Die Begründungen für diese Entscheidungen erschließen sich uns oftmals nicht. Und das alles vor dem Hintergrund der wissenschaftlich mehrfach abgesicherten Erkenntnis, dass die Ansteckungsgefahr im Einzelhandel äußerst gering ist. Zudem waren und sind auch die Unterstützungshilfen für unsere Branche nicht ausreichend und zielgenau. Deren Auszahlungen verzögern sich aufgrund bürokratischer Hindernisse außerdem oftmals um Monate; schnell benötigte Hilfe kommt daher oft zu spät an. Wir brauchen gerade auch im weiteren Verlauf der Pandemie transparente und nachvollziehbare Vorgaben und Perspektiven der Politik zur Öffnung der Geschäfte.

 baby&junior: Welche Anstrengungen haben BTE, BDSE und BLE unternommen, um etwas zu verändern?

 Rolf Pangels: Der BTE hat beispielsweise gemeinsam mit dem BDSE und BLE bereits zu Beginn der Coronakrise die Politik auf die speziellen Probleme des stationären Modeeinzelhandels aufmerksam gemacht und diverse Vorschläge zur Milderung der Auswirkungen unterbreitet. Gemeinsam mit dem HDE und seinen Landesverbänden wurden zahlreiche Detailfragen erörtert und Themen an die Politik adressiert. Beispielhaft sei die Möglichkeit der Abschreibungen unverkaufter Saisonware im Rahmen der Überbrückungshilfe erwähnt. Zudem haben wir umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit betrieben und zahlreiche Kampagne initiiert und mitgestaltet.

 baby&junior: Was bedeutete das zudem beschlossene neue Infektionsschutzgesetz mit der bundesweiten „Corona-Notbremse“ für den Modehandel?

Rolf Pangels: Das hat zunächst bedeutet, dass viele Geschäfte – trotz geringem Infektionsrisiko – für weitere Wochen geschlossen geblieben und Umsätze verloren gegangen bzw. ausgeblieben sind. Wir sind grundsätzlich davon überzeugt, dass die Schließungen der Modegeschäfte keine wirklichen und sinnvollen Beiträge zur Bekämpfung der Pandemie leisten. Unserer Ansicht nach muss die Regierung ihre Coronapolitik endlich grundlegend überdenken und gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben ebenso verantwortungsvoll wie verhältnismäßig ermöglichen. Der überängstliche und ausschließliche Blick auf Inzidenzwerte darf uns nicht weiter in eine Art Schockstarre versetzen und uns jede Perspektive und Planungssicherheit rauben. Es ist illusorisch zu glauben, ein ständig mutierendes Virus mit Geschäftsschließungen ausrotten zu wollen. Es ist an der Zeit, eine flächendeckende Öffnung des Einzelhandels bei Einhaltung strikter Hygiene- und Abstandskonzepte anzugehen. Hierzu hat der Handel bereits zahlreiche verlässliche Konzepte und konkrete Vorschläge unterbreitet.

 baby&junior: Ein Blick in die nahe Zukunft: Worauf müssen sich Händler und Verbraucher einstellen?

Rolf Pangels: Die Coronakrise wird insbesondere den Trend zur Nachhaltigkeit, der sich bereits vorher auf dem deutschen Modemarkt abgezeichnet hat, verstärken. Außerdem wird in unserer Branche die Digitalisierung von Angeboten und Services intensiviert werden müssen. Ebenso ist eine Anpassung der Vertriebskanäle und Lieferkettenbedingungen erforderlich. Wichtig bei alledem ist, dass die Modeunternehmen jetzt aktiv auf die sich verändernden Bedingungen eingehen und nicht nur auf diese reagieren. Gerade die Modehändler in den Innenstädten müssen den Verbrauchern etwas bieten, was für sie einen wirklichen Mehrwert hat, um in eine Stadt zu fahren. Jahrelang hat man – Einzelhändler ebenso wie oftmals Kommunalpolitiker – nämlich geglaubt, die Innenstädte sind ein Selbstläufer und die Verbraucher kommen allzeit von alleine. Wir glauben, dass diese Haltung ein Trugschluss ist. Stationäre Modegeschäfte müssen sich in Orte des Erlebens, des Lernens und Treffens verwandeln, an denen die Besucher individuell angesprochen werden. Das Einkaufen in den Innenstädten muss auch wieder verstärkt in den Fokus gemeinsamer Besorgungen und Freizeitaktivitäten gestellt werden. Dies gilt insbesondere für Familien mit Kindern sowie für Tourismusgruppen. Wichtig ist aber auch, dass der Modefachhandel die positiven und frequenzbringenden Wechselwirkungen mit anderen Branchen, wie z. B. Gastronomie, Hotellerie, Kultur usw. aktiv nutzt. Ebenso muss sich gerade auch der innerstädtische Modeeinzelhandel stärker bei Stadt-/Citymarketingprojekten engagieren. Hier ist nach unseren Kenntnissen auch für den Modeeinzelhandel noch „viel Luft nach oben“.