baby&junior: Wann und warum haben Sie sich entschieden, Hebamme zu werden?

Michael Melchisedech: Das war im Herbst 2018. Ich saß in einem Wohnzimmer und durfte erleben, wie aus einer kleinen Schwester eine Große wurde und ein Paar zum zweiten Mal Eltern. Das war der Moment, in dem mir klar war: „Davon will ich mehr!“ Bis dahin hatte ich als Reiseverkehrskaufmann in Köln gearbeitet und nebenbei noch im Familienbetrieb als Gastronom. In beiden Fällen wusste ich, dass ich das auf keinen Fall bis zur Rente machen will. Meine Suche nach dem Traumjob dauerte allerdings 15 Jahre, bis ich mit einer lieben Kundin im Café saß und über meine Arbeitsideale sprach – für Menschen „richtig“ da und ihnen nah zu sein, selbstständig zu arbeiten, Verantwortung zu übernehmen, eine Quelle für Rat und Hilfe zu sein. Diese Kundin, eine Hausgeburtshebamme, bot mir ein Praktikum bei sich an. Und so lief ich acht Wochen mit ihr durch Köln und Umgebung.

baby&junior: Wie waren die Reaktionen in Ihrem Umfeld, privat und später in der Ausbildung?

Michael Melchisedech: Meine Freunde waren begeistert oder auch einfach sehr erleichtert, dass ich endlich etwas gefunden hatte. Irgendwie sei es „komisch“ und trotzdem sahen mich alle darin. Meine Familie hat den Beruf gar nicht in Frage gestellt, denn für sie war ich einfach zu alt, etwas Neues anzufangen. Meine Oma war noch am modernsten und riet mir, das auf alle Fälle zu machen, es wäre doch sehr wichtig, dass es mehr Hebammen gäbe. Während der Bewerbungsphase waren die Reaktionen dann sehr gut. Überraschend für mich, da man mir prophezeite, dass es fast unmöglich sei, als männlicher Bewerber einen Platz in dieser Frauendomäne zu finden. Tatsächlich hatte ich nur eine prägende Begegnung bei einem Vorstellungsgespräch. Die leitende Hebamme sagte mir, dass ich als Mann auf gar keinen Fall etwas im Kreißsaal zu suchen hätte und mich niemals jemand ausbilden wird. Ich wäre nur eine Belastung für alle und Zeitverschwendung. Das war frustrierend, hielt mich aber nicht auf und am Ende hatte ich vier Zusagen. Nun bin ich im Ruhrgebiet und meine Kolleginnen haben mich sehr lieb aufgenommen.

baby&junior: Wie reagieren die Frauen, die Sie betreuen?

Michael Melchisedech: Die meisten Schwangeren und Mütter sind begeistert. Ich glaube aber, dass das weniger mit mir als Mann zu tun hat, sondern eher, weil ich es gut mache. Es gibt auch wenige Reaktionen die mir zeigen, dass es im ersten Moment ein ungewohnter Anblick ist, aber letztlich kommt es auf unser Miteinander an.

baby&junior: Wie gestaltet sich Ihr Arbeitstag/die Ausbildung?

Michael Melchisedech: Sofern wir keine Schule haben, bin ich in einem Level 1 Haus eingesetzt und arbeite hauptsächlich im Kreißsaal oder auf der Wochenbettstation. Momentan befinde ich mich in der Mitte des Mittelkurses und habe ein paar Ausflüge in andere Abteilungen machen dürfen: OP, Anästhesie, Kinderklinik und Neonatologie. Am meisten freue ich mich aber auf mein bevorstehendes Externat bei einer freiberuflichen Hebamme.

baby&junior: Wo möchten Sie nach der Ausbildung arbeiten?

Michael Melchisedech: Eine unserer Lehrhebammen sagt immer: „Nach der Ausbildung lernt ihr erst richtig, was es heißt, Hebamme zu sein.“ Deshalb möchte ich meine Erfahrungen im Klinikalltag vertiefen, das selbstständige Arbeiten erlernen und die Variationen der Geburtshilfe kennenlernen. Langfristig zieht es mich aktuell ins Belegsystem.

baby&junior: Was hat Sie am meisten überrascht am Beruf der Hebamme?

Michael Melchisedech: Es ist ein Beruf, in dem jeder Tag anders ist. Wir treffen auf alle Kulturen, auf die Vielfältigkeit unseres Umfelds. Wir sind hautnah dabei, wenn eine Familie entsteht oder sich vergrößert, aber auch wenn es nicht so sein soll. Wir sind die Ersten, die ein neues Leben begrüßen. Vielleicht ist das für viele nicht überraschend, aber für mich ist es das. Jeden Tag.

baby&junior: Was war Ihr bisher schönstes Erlebnis?

Michael Melchisedech: Diese Frage ist kaum zu beantworten, da es so viele „schönste Erlebnisse“ gibt. Wenn aber alle in einem zusammengefasst werden müssten, ist es dieses besondere Band, das in einer Betreuung entsteht und ich für einen kurzen Moment ein Teil, ein Begleiter dieser Familie sein kann. Dadurch ist für mich fast jeder Tag ein schönster Tag und ich hoffe, dass ich mir das bewahren kann.

baby&junior: Wie gehen Sie mit kritischen Meinungen um?

Michael Melchisedech: Letztendlich geht es darum, dass eine Geburt im besten Fall in Harmonie abläuft. So ist es meine Aufgabe, diese herzustellen und zu bewahren. Dafür gibt es kein Rezept, aber wichtig sind in jedem Fall Empathie, Kompetenz und Charme.

baby&junior: Kennen Sie andere männliche Hebammen?

Michael Melchisedech: Ja, aber nicht persönlich. Mit einer männlichen Hebamme aus Berlin schreibe ich ab und an, dem Rest folge ich, sofern sie auffindbar sind, auf Instagram oder besuche ihre Homepages und lese Interviews mit ihnen. Es gibt also keine WhatsApp-Gruppe, wobei der Gedanke natürlich verlockend ist …