07.08.24 – Statement von Hannah Eberhardt, Gründungsmitglied von Fahrrad & Familie e.V.

Einschätzung von Stiftung Warentest nicht nachvollziehbar

Die Stiftung Warentest stufte alle im Juli 2024 getesteten Kinderfahrradanhänger als „Totalausfall“ ein. Hannah Eberhardt, Gründungsmitglied von Fahrrad & Familie e.V., und ihr Team haben die Testergebnisse eingeordnet.

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Hannah Eberhardt, Gründungsmitglied von Fahrrad & Familie e.V. © privat

 

Durch die Überschriften „Gefahren für Kinder und Umwelt“ und „Totalausfall“ entsteht der Eindruck, es sei gefährlich, Kinder im Fahrradanhänger mitzunehmen. Wir haben uns den Test genauer angeschaut und ordnen die Ergebnisse ein:

Sehr geringe Unfallzahlen mit Kindern im Fahrradanhänger

Im Jahr 2020 gab es 69.765 polizeilich erfasste Unfälle mit Fahrradbeteiligung. Davon betrafen 14 Unfälle ( = 0,02 % aller Fahrradunfälle) korrekt mitgenommene Kinder im Anhänger. Diese wurden fast ausschließlich nur leicht verletzt. Korrekt mitgenommen bedeutet: Fahrer älter als 16 Jahre, Kind 0-7 Jahre, Kind richtig im Sitz angeschnallt. Zum Vergleich: 48 Unfälle mit Fahrrad-Kindersitz, 7 mit Lastenrad (siehe Studie der Unfallforschung der Versicherer). Die Unfallzahlen geben es also nicht her, dass es ein besonderes Risiko für Kinder im Fahrradanhänger gibt.

Grund für die schlechte Warentest-Bewertung: Schadstoffe (v. a. PFAS)

Chemikalien aus der Gruppe der PFAS waren in allen Anhängern nachweisbar (Schiebegriff, Sitzfläche, Gurte und/oder Seitenwand). Dies führte daher bei allen Modellen zur Abwertung. Manche Anhänger enthielten Weichmacher (Sichtfenster, Seitenwand). Stiftung Warentest bemängelt die Folgen für die Umwelt, da PFAS sich in der Umwelt anreichern. Wir wollen die negativen Umweltauswirkungen nicht kleinreden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass PFAS „in zahlreichen Verbraucherprodukten wie Kosmetika, Kochgeschirr, Papierbeschichtungen, Textilien oder Ski-Wachsen eingesetzt“ werden (so das Bundesumweltministerium, BMUV). Der Bereichsleiter Untersuchungen bei Stiftung Warentest sagt ausdrücklich, dass die gefundenen PFAS-Schadstoffe für Kinder „gesundheitlich nicht bedenklich sind“.

Überschlag („Kopfstand“) sehr unwahrscheinliches Szenario

Wir sprechen seit Jahren mit Eltern zur Kindermitnahme mit dem Rad. In einzelnen Fällen wurde uns von einem seitlichen Umkippen des Anhängers berichtet. Noch nie ist uns der Fall begegnet, dass ein Anhänger einen Überschlag macht. Genau das wurde aber von Stiftung Warentest untersucht: Unter der Unterschrift „Unfallsicherheit“ wird bemängelt, dass bei vier Anhängern beim Überschlag zu wenig oder kein Abstand zwischen Dummy-Kopf und Boden vorlag. Das Szenario, dass bei einem Unfall der Anhänger komplett auf dem Kopf steht, erscheint uns extrem unwahrscheinlich. Es wird in Unfallstudien auch nicht angewendet. Wir halten es daher für fragwürdig, dass dieses Kriterium dazu führt, dass Anhänger bezüglich der Sicherheit als mangelhaft eingestuft werden. Die Kriterien „Kippsicherheit“ und „Festigkeit des Gestells und der Deichsel“ hingegen halten wir aus unserer Praxiserfahrung heraus für relevant. Bei beiden Kriterien haben alle Anhänger bis auf einen (Deichselbruch) sehr gut abgeschnitten.

Was können besorgte Eltern jetzt tun?

  • Bitte nicht in Panik verfallen! Kinderanhänger sind ein sicheres Verkehrsmittel.
  • Sich nicht vom Anhängerkauf abhalten lassen. Radfahren ist nach dem Zufußgehen trotz PFAS das umweltfreundlichste Fortbewegungsmittel.
  • Wer etwas für die Umwelt tun möchte: Beim Kauf einer Outdoor-Jacke, von Zahnseide, Kosmetika oder einer Pfanne: Produkte ohne PFAS wählen (Kennzeichnung z.B. „PFAS-frei“, „Fluorcarbon-frei“ oder „PFC-frei“).
  • Kind immer richtig anschnallen. Die Gurte dürfen nicht herumbaumeln.
  • Helm aufsetzen (sich selbst und dem Kind)
  • vorausschauend und mit angepasster Geschwindigkeit fahren
  • Bei Babys oder wenn die Wege / Straßen sehr holprig sind: lieber einen gefederten Anhänger nutzen