20.09.19 – Gastbeitrag

Nachhaltigkeit: Jeder trägt Verantwortung

Das Thema Nachhaltigkeit ist allerorten präsent, und auch die Kind + Jugend rückt die Thematik mit der Nachhaltigkeitsliste stärker in den Fokus. Unser Gastautor Jörg Meister gibt einen Überblick über die derzeitige Lage in Politik, Handel und Industrie und beschreibt, inwieweit Nachhaltigkeit in der Babybranche bereits verankert ist.

PlanWoodGranulat.jpg

Die Branche entwickelt und verwendet verstärkt nachhaltige Materialien. © PlanToys

 
Stemmer-und-Meister.jpg

Experte für Kinder- und Lizenzprodukte: Gemeinsam mit Eva Stemmer leitet Jörg Meister die little big things GmbH. © little big things

 

„Die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigen, ohne nachfolgende Generationen in der Befriedigung ihrer Bedürfnisse einzuschränken“ – so definierte der Brundtland-Bericht von 1987, eines der wohl am häufigsten zitierten Werke der Umwelt- und Entwicklungsliteratur, den Begriff Nachhaltigkeit. In anderen Worten gesprochen, ist damit dauerhafte Stabilität durch Ausgeglichenheit von ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen gemeint.
  
Profitorientiertes Wirtschaften indes verbietet oft den nötigen Weitblick. Man misst sich lieber an schnellen Erfolgen als an strategischen Entscheidungen mit Langzeiteffekt. Mit aktuellen gesellschaftlichen Bewegungen und Initiativen wie „Fridays for Future“ oder dem erfolgreichen Bürgerbegehren für Artenschutz in Bayern scheint sich das gerade zu ändern. Nicht nur die Jugend ist in Aufruhr, sondern auch gerade junge Eltern machen sich Gedanken darüber, wie die Zukunft ihrer Kinder wohl aussieht. Hierdurch entsteht eine wachsende Nachfrage nach ökologisch und gesundheitlich möglichst unbedenklichen Produkten.
 
Die politische Komponente

Ökologische Tatsachen und öffentlicher Druck sorgen für Bewegung bei Entscheidern, Verantwortung für das eigene Handeln und die Zukunft zu übernehmen. Dies gilt auf globaler bis hin zur regionalen Ebene. Angefangen bei Verpackungsregulierung und Einschränkung von Kunststoffen bis hin zur Abfallverordnung: Gesetzgeberisch wird es wohl einige Regulierungen geben, um Klimaziele einzuhalten und Bürgerwünschen gerecht zu werden.
  
Auch deshalb mag es für Hersteller derzeit noch eine große Investition darstellen, sich mit der sozial-ökologischen Verträglichkeit des Produktportfolios auseinanderzusetzen. Sobald aber regulatorische Einschränkungen greifen, zahlt es sich für Unternehmen mittelfristig aus, wenn sie sich schon jetzt entsprechend wappnen.
 
Der Konsument in der Verantwortung

Aber nicht nur Forderungen seitens der Bevölkerung sind wichtig, Umsicht und Verantwortung beim Konsum ist ebenso Schlüssel für eine nachhaltigere Welt. Solange nachhaltiger Konsum ein Lippenbekenntnis bleibt, wird sich nichts ändern. Die effektivste Stellschraube zum Kauf „besserer“ Produkte ist jedoch der Preis. Lösungen, die sowohl die Wirtschaftlichkeit als auch das Gemeinwohl zugleich im Auge haben, werden daher das Rennen machen. Einen spannenden Ansatz zur Förderung sozialökologischen Konsums stellt hier die „Gemeinwohlökonomie“ dar, nach deren Regeln zum Beispiel der Outdoorhersteller VauDe aus Tettnang agiert.

Der Beitrag der Industrie

Für nachhaltiges Produzieren haben sich verschiedene Ansatzpunkte etabliert. Grundlegend für den Richtungswechsel ist die Reflexion der eigenen Situation: Das Bekenntnis zu nachhaltiger Produktion muss sich im Firmenethos widerspiegeln. Der Taschen- und Accessoires-Hersteller Lässig tut sich hier mit sehr großem Engagement hervor: Nicht nur Prozesse im Unternehmen und der Lieferantenkette werden berücksichtigt, sondern auch Materialwahl und Lebensdauer bei den Produkten selbst.
  
Ebenso Heunec, der bei seinen Babylinien auf Qualität und Herkunft der Materialien achtet, GOTS-zertifizierte Materialien verwendet und als erster Plüschhersteller Cradle to Cradle-Produkte auf den Markt brachte. Im Care-Bereich werden Materialien wiederentdeckt, die lange vergessen schienen: Hevea konzentriert sich auf Latex und auch Baby Quoddle nutzt den Naturstoff in Kombination mit Glas. Generell lässt sich feststellen: Es sind alte Werte, die wieder gefragt sind. Produkte mit hoher Lebensdauer, reparierbar und nach Ende der Nutzbarkeit recycelbar, idealerweise aus transparenten und nachvollziehbaren Quellen, ökologisch und sozial verträglich.
 
Neue Materialien und Produktionstechniken

Unter „First Movers“ herrscht Goldgräberstimmung: Die Forschung nach umweltverträglichen und ökologisch neutralen Materialien läuft mit Hochdruck. Die Wette ist einfach: Erdölbasierter Kunststoff sowie großer Energiekonsum und Abfallaufkommen werden über kurz oder lang reglementiert. Wohl dem also, der dann bereits Lösungen in petto hat. Große Erdölkonzerne wie Braskem oder Total gehen hier finanzstark voran und sichern sich Marktanteile, wenn auch bisher vergleichsweise gering.
 
Wir aber sind verwöhnt von synthetischen Materialien und deren Eigenschaften, ebenso von den Preisen massenhaft hergestellter Ware, von den Annehmlichkeiten globalen Wirtschaftens und von der Möglichkeit, Billiglohnländer mit schwachen Umweltauflagen für unsere Belange zu nutzen. Und so sind Lösungen, die nahtlos am Status quo anschließen, derzeit noch nicht in Sicht.
 
Wer macht den ersten Schritt?

Große Hersteller tun sich aufgrund des Risikos schwer, laufende Produktionen umzustellen. Kleine dagegen können sich die Investition nur schwer leisten. Und so sind es Enthusiasten, die, getrieben vom Veränderungswillen, Leuchtturmprojekte auf den Markt bringen, in der Hoffnung, die finanz- und aufmerksamkeitsstarken Unternehmen zu aktivieren und so mittelfristig Herstellungskosten zu drücken.
 
In der Spiel- und Babyhartware hat der schwäbische Kunststoffhersteller Tecnaro, der holzbasierte Thermoplaste herstellt, bereits erste Projekte mit Branchenteilnehmern realisieren können. Hersteller wie Haba, Schleich, Boxine und TicToys nutzen diese Materialien bereits erfolgreich. Der Hersteller PlanToys aus Thailand hat derweil sein eigenes Material „PlanWood“ entwickelt, mit dem er nachhaltige Spielwaren fertigt.
 
Der Kreis der Aktiven wächst weltweit. Sei es das Unternehmen bioserie (Hongkong) oder das österreichische Start-up Bioblo: Sie eint der Glaube daran, nachfolgenden Generationen nur durch nachhaltige Produkte Gutes tun zu können. Bei Verbrauchsartikeln sieht man mittlerweile ebenso einen Wandel. Praktische Convenience, wie zum Beispiel Quetschbeutel, werden immer häufiger hinterfragt – Mehrwegpackungen wie die Edelstahlbehälter von Lunchbots und reer sind en vogue.

Was wirklich zählt

Das Thema nachhaltige Produktion ist komplex – und in letzter Konsequenz durchdacht, ist es ein Widerspruch in sich: Jedes neue Produkt verbraucht Energie und Rohstoffe. Dies ist unumstößlich. Der schwerwiegendste Punkt daher, und das ist besonders im Bereich Spielware und Babyartikel wichtig, ist die Relevanz des Produktes: Nicht Herstellung, Herkunft oder Material macht das Produkt begehrenswert. Es ist die Gestaltung unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Nutzer.

Und hier ist auch der Handel mit in der Verantwortung, da dieser über das Angebot bestimmt. Nicht Hype-Themen und kurzfristige Trends bringen nachhaltige Produkte hervor, sondern Themen, die andauern. Vielleicht ein Grund, darüber nachzudenken, in welcher Frequenz man Neues braucht. Und ob billige Massenartikel wirklich eine notwendige Komponente des Sortimentes sein müssen. „Billige Sachen können wir uns nicht leisten“, war ein Credo früherer Generationen. Hier ist eine Rückbesinnung sicher nicht das Verkehrteste, damit auch künftige Generationen ihre Bedürfnisse befriedigen können.