21.02.23 – Zukunft des Einkaufens
Sechs Gründe für eine autofreie Innenstadt mit Zukunft
Das Thema autofreie Innenstadt wird seit langem diskutiert und oft prallen „Vorstellungs-Welten“ aufeinander. Unsere Gastautorin Christine Mengelée erläutert die Chancen und Herausforderungen.
Im Rahmen des Klimaschutzes steht in der ersten Etappe das Erreichen der Klimaneutralität im Fokus. Zur Erreichung der Ziele, kann der Verkehr eine wesentliche Rolle spielen. Somit liegt es nahe, auch die Option „autofreier Innenstädte“ zu prüfen.
Positive Effekte einer autofreien Innenstadt
- Die Reduzierung der Stickstoffdioxid-Belastung führt zu sauberer Luft und einer Steigerung der Gesundheit.
- Je weniger Autos unterwegs sind, je höher wird die Reduktion von verkehrsbedingten Todesfällen sein.
- Weniger Autos bedeuten weniger Lärm, viel Ruhe und einen niedrigeren Stresspegel.
- Es entsteht mehr freie Fläche für Bäume und andere Grünflächen.
- Ebenfalls reduziert sich die Hitze ohne fahrende Autos.
- Die frei gewordene Fläche kann auch für zusätzliche Einkaufsmöglichkeiten genutzt werden.
Chancen und Herausforderungen einer autofreien Innenstadt
Wie immer, wenn man etwas neu ausrichten möchte, gibt es ganz viele Meinungen und mindestens zwei Seiten der „Medaille“. Auch autofreie Innenstädte können zu Herausforderungen führen. Welche dies sein könnten, sehen Sie hier:
- Einzelhändler, Gastronome, Friseure und weitere befürchten bei einer für Autos gesperrten Innenstadt, dass ihnen die Kundschaft verloren geht und sich eher auf den Online-Handel konzentriert.
- Der öffentliche Nahverkehr ist noch nicht so ausgelegt, dass der ein Verbot von Autos in der Innenstadt und die einhergehenden Massen an Menschen kompensieren könnte .
- Menschen, welche in der Stadt wohnen, möchten nicht auf ihr Auto verzichten, um ihren Alltag zu bestreiten.
Befürchtungen der Händler:innen einer autofreien Innenstadt
Um das Thema mit handfesten Zahlen zu untermauern, hat das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam eine repräsentative Studie mit rund 2.000 Kunden und 145 Händlern in Berlin angefertigt. Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie:
93 % der Kunden haben die Innenstadt nicht mit dem Auto erreicht, sondern mit dem Rad, zu Fuß oder den öffentlichen Verkehrsmitteln. Also lediglich 7 % der Kunden haben die Innenstadt mit dem Auto erreicht. Allerdings haben die Autofahrer und Autofahrerinnen auch lediglich 9 % an Umsatz getätigt, während 91 % des Umsatzes von denjenigen kam, welche mit Rad, zu Fuß oder den öffentlichen Verkehrsmitteln kamen.
Weitere Studien anderer Innenstädte aus Gera, Erfurt oder Leipzig bestätigen diese Ergebnisse. Auch hier haben lediglich rund 7 % der Kunden die Innenstadt mit dem Auto erreicht. Der Wohnort der Kunden ist überraschend nah, denn im Durchschnitt wohnten 51 % der Befragten (> 1000) in einem Radius von 3 km von der Einkaufsstraße entfernt. Mit dem neuen Flair einer autofreien Innenstadt entstanden rund 30 % mehr Geschäfte. Diese zogen mehr Kundschaft an und sorgten für einen Mehrumsatz im Einzelhandel.
Mobilität und Verkehr in anderen Ländern
Kopenhagen hat 5-mal so viele Fahrräder als Personenkraftwagen! Die dänische Hauptstadt hat sehr gut ausgebaute Radwege, worauf rund 50 % der Dänen zur Uni, Schule oder ins Büro fahren.
Die slowenische Hauptstadt Ljubljana hat ihre Innenstadt bereits seit 2007 für Autos gesperrt. Der Kern der Innenstadt wurde so umgebaut, dass dort lediglich Radfahrer, Fußgänger und der Busverkehr erlaubt sind. Für Menschen, welche in die Innenstadt wollen, gibt es ein gut ausgebautes öffentliches Personennahverkehrsnetz. Darüber hinaus hat man E-Taxis, welche komplett kostenlos sind und 25 km/h fahren, etabliert für insbesondere ältere und bewegungseingeschränkte Menschen, aber auch für Touristen. Auch Fahrrad-Verleihstationen finden sich in der Innenstadt wieder, hier kann man die erste Stunde sogar kostenlos zurücklegen.
Barcelona wiederum hat ein anderes Konzept. Barcelona ist die kosmopolitische Hauptstadt der spanischen Region Katalonien. Seit mehreren Jahren werden dort „Blocks“ oder auch „Inseln“ genannt eingerichtet. D. h. es wird nicht die komplette Innenstadt gesperrt, sondern es werden Häuserblocks zu einem nahezu autofreien Quartier zusammengefasst. Frei werdende Flächen wurden begrünt und das Netz für Fahrräder und Fußgänger ausgebaut. Anwohner- oder Lieferverkehr darf sich nur auf ausgewiesenen Straßen bewegen und maximal 10 km/h „schnell“ fahren.
In Wien werden über 40 % der Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. In die Innenstadt dürfen fast nur noch Anwohner fahren und die Zufahrtswege zur Innenstadt wurden von über 30 auf rund 25 km/h reduziert.
Paris ist seit Anfang 2020 vom ersten bis vierten Arrondissement autofrei und seit Mitte 2016 ist einmal im Monat (jeweils am ersten Sonntag) die Champs-Elysées für Autos gesperrt, genauso die 3 km lange rechte Seine-Seite.
Oslo verzichtet in der Innenstadt komplett auf Autos. Das Ziel ist es, die Stadt den Menschen zurückzugeben. Parkplätze gibt es kaum noch in der Innenstadt und die Infrastruktur öffentlicher Verkehrsmittel wurde nicht nur extrem verbessert, sondern auch noch preisattraktiv gestaltet. Besonders interessant finde ich, dass die niederländische, kleine Stadt Houten als Modellstadt zählt. Das Stadtzentrum ist schon sehr lange autofrei und Radfahrer haben stets Vorrang. Das hat eine große Umfahrungsstraße möglich gemacht. In jedem Bericht, welchen ich über die oben genannten „autofreien“ Innenstädte gelesen habe, sprach man von Widerstand. Die Veränderungen fanden meist schleichend und nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt statt.
Fazit
Final wird es nicht möglich sein, sich einheitlich auf ein Konzept zu einigen, da Betroffene unterschiedliche Meinungen haben und auch unterschiedliche Ziele verfolgen. Um die Erderwärmung und deren fatalen Folgen einzudämmen, ist ein verändertes Mobilitätsverhalten, aus meiner Sicht, einer von mehreren wichtigen Bausteinen. Alles andere sehe ich als alternativlos an! Autofreie, einzelne Innenstadtteile würden einen ersten Schritt in die richtige Richtung bedeuten. Dies bedarf allerdings einer flächendeckenden Infrastruktur öffentlicher und sonstiger Verkehrsmittel wie E-Roller, E-Bikes oder beispielsweise E-Taxis. Darüber hinaus brauchen wir zusätzliche und breitere Radfahr- und Fußgängerwege. Auch eine Studie über Statista belegt, dass rund 2/3 der Befragten sich autofreie Innenstädte in Deutschland vorstellen können. 38 % der Befragten allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Infrastruktur der öffentlichen Verkehrsmittel ausgeweitet wird.