15.09.25 – Interview mit Dr. Axel Neisser, Leiter des Teams II bei der Stiftung Warentest
„Wir begrüßen jede Auseinandersetzung mit unserer Arbeit“
Ein schlechtes Ergebnis durch die Stiftung Warentest kann bei Unternehmen für viel Trubel und Kritik sorgen. Dr. Axel Neisser, Leiter des Teams II (Haus, Energie, Freizeit und Verkehr) erklärt im exklusiven baby&junior-Interview, wie die Stiftung Warentest selbst damit umgeht und wie es überhaupt zu den heutigen strengen Testkriterien kommt.
baby&junior: Der aktuelle Kombikinderwagen-Test 2025 fiel ernüchternd aus, denn kein einziges Modell erhielt die Note „gut“. Was sagt das über den Markt aus?
Dr. Axel Neisser: Der Test offenbart Schwächen im Kombikinderwagen-Segment, bei dem Anbieter offenbar nicht alle Qualitätsaspekte gleichzeitig beherrschen. Während die beiden bestplatzierten Cybex und Nuna bei Handhabung, Haltbarkeit und Schadstoffen überzeugen, zeigen sie beispielsweise Mängel bei grundlegenden Ergonomie-Anforderungen: Ihre Sitze sind so tief konstruiert, dass sie erst für Kinder ab neun Monaten nutzbar sind. Ein Drittel der getesteten Modelle erhielt die Note „Mangelhaft“ aufgrund von Schadstoffbelastungen, darunter bedenkliche PFAS-Verbindungen und kritische Flammschutzmittel.
baby&junior: Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Testkriterien bei Kombikinderwagen der aktuellen Marktentwicklung entsprechen und nicht überzogen streng sind?
Dr. Axel Neisser: Die Stiftung Warentest orientiert sich bei ihren Testkriterien u. a. an jeweils aktuellen Normen und dem Zeichen für Geprüfte Sicherheit, um technische Standards auf dem neuesten Stand zu gewährleisten. Die vorgesehenen Prüfungen werden in einem Fachbeirat diskutiert, an dem Anbieter von Kinderwagen, Handelsunternehmen, unabhängige Prüfinstitute und weitere Experten z. B. vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und Verbrauchervertretende teilnehmen. Bei der Prüfung der kindgerechten Gestaltung orientierten sich die Experten am durchschnittlichen Wachstum von Kindern in Deutschland. Die Handhabung testen Mütter und Väter unter möglichst realistischen Alltagsbedingungen wie Fahren auf verschiedenen Untergründen und Transport in einem Kleinwagen.
baby&junior: Bitte beschreiben Sie unseren Lesern den konkreten Ablauf eines Kombikinderwagen-Tests – von der Produktauswahl bis zur Notenvergabe.
Dr. Axel Neisser: Die Marktanalyse der Stiftung Warentest wählt nach objektiven Kriterien wie Marktverbreitung, Preis und Ausstattung repräsentative Kombikinderwagen-Modelle aus der Vielzahl verfügbarer Produkte aus. Test-Einkäufer kaufen die ausgewählten Kinderwagen anonym im Handel oder online ein, zahlen bar oder mit nicht zuordenbaren Kreditkarten, um keine Rückschlüsse auf die Stiftung Warentest zu ermöglichen. Die vorgesehenen Prüfungen werden in einem Fachbeirat diskutiert, an dem Anbieter von Kinderwagen, Handelsunternehmen, unabhängige Prüfinstitute und weitere Experten z. B. vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und Verbrauchervertretende teilnehmen (s.o.). Ein externes, unabhängiges Prüfinstitut führt im Auftrag der Stiftung umfangreiche Tests durch – beispielsweise zu Sicherheit, Handhabung, Haltbarkeit und Schadstoffen. Das Prüfinstitut fasst alle Messergebnisse zusammen und erstellt ein detailliertes Gutachten über die getesteten Kombikinderwagen. Die wissenschaftlichen Mitarbeitenden der Stiftung Warentest bewerten die Ergebnisse und vergeben die Qualitätsurteile von „Sehr gut“ bis „Mangelhaft“. Vor der Veröffentlichung werden die Anbieter über ihre jeweiligen Messergebnisse informiert und können eine schriftliche Stellungnahme abgeben. Nach redaktioneller Aufbereitung und Verifikation aller Details wird der Artikel mit den Testergebnissen in der Zeitschrift, auf test.de und über weitere Medienkanäle veröffentlicht. Interessierte Verbraucherinnen und Verbraucher finden eine detaillierte Beschreibung unserer Arbeit auf unserer Webseite test.de: So testen wir: Wie die Stiftung Warentest arbeitet.
baby&junior: Wie setzt sich das Testteam zusammen und welche Rolle spielen externe Prüfinstitute?
Dr. Axel Neisser: Das Testteam für den Kinderwagentest setzt sich aus Wissenschaftlern, der Marktanalyse, der Redaktion und der Verifikation zusammen. Die externen unabhängigen Prüfinstitute führen im Auftrag der Stiftung die im Prüfprogramm festgelegten Prüfungen durch – beispielsweise zu Sicherheit, Handhabung, Haltbarkeit und Schadstoffen. Das Prüfinstitut fasst alle Messergebnisse zusammen und erstellt ein detailliertes Gutachten über die getesteten Kombikinderwagen.
baby&junior: Wie gehen Sie mit der Situation um, wenn ein Hersteller Einwände gegen die Methodik erhebt?
Dr. Axel Neisser: Hersteller, deren Produkte durch die Stiftung Warentest in einen Test einbezogen werden, erhalten eine schriftliche Beschreibung der Testmethodik, das sogenannte Prüfprogramm. Sollte ein Hersteller die von der Stiftung Warentest gewählte Methodik als für die vergleichende Untersuchung ungeeignet erachten, so kann er diese Einwände der Stiftung gegenüber schriftlich äußern. Die Stiftung prüft diese Einwände, zieht ggf. externe Expertinnen und Experten zur Beratung hinzu und entscheidet dann, ob eine Anpassung der gewählten Methodik erforderlich ist oder nicht. Maßgeblich ist dabei die Frage, ob die gewählte Methodik zu Prüfergebnissen führt, deren Bewertung es Verbraucherinnen und Verbrauchern erlaubt, kompetente Kaufentscheidungen zu treffen (Verbraucherinnenperspektive).
baby&junior: Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob ein Produkt die Note „Mangelhaft“ erhält? Und welche rechtlichen Konsequenzen ziehen Sie dabei in Betracht?
Dr. Axel Neisser: Die Bewertung „Mangelhaft“ wird in aller Regel dann vergeben, wenn eine Produkteigenschaft die Erwartungen des Nutzenden in keiner Weise erfüllt. Typische Beispiele sind das Versagen in einem Belastungstest (Haltbarkeit = mangelhaft), das Vorliegen eines potenziellen Verletzungsrisikos (Sicherheit = mangelhaft) oder die Überschreitung eines anerkannten Grenzwerts für den Gehalt eines bestimmten Schadstoffs (Schadstoffe = mangelhaft). Wir sind uns der Konsequenzen für Anbieter und Hersteller bewusst, wenn wir schlechte Noten vergeben. Dennoch denken wir nicht gleich an mögliche rechtliche Konsequenzen, sondern stellen den Schutz von Verbraucherinnern und Verbrauchern in den Mittelpunkt, dies ist unsere Aufgabe.
baby&junior: Das Landgericht Frankfurt hat die Stiftung Warentest erstmals zu Schadensersatz verurteilt. Wie verändert dieses Urteil die Testpraxis?
Dr. Axel Neisser: Wir haben gegen das Urteil Berufung eingelegt, somit ist es noch nicht rechtskräftig. Es verändert die Testpraxis der Stiftung Warentest nicht.
baby&junior: Ein Unternehmen verlangt von uns eine Korrektur unserer Berichterstattung über Ihren Test. Wie reagieren Sie typischerweise auf solche Forderungen von Herstellern?
Dr. Axel Neisser: Wir können uns nur zur Berichterstattung äußern, die wir selbst veröffentlichen. Sollten Hersteller uns auffordern unsere Berichterstattung zu ändern, dann prüfen wir dieses Anliegen. Sollten wir zum Schluss kommen, dass uns ein Fehler unterlaufen ist, so korrigieren wir die Darstellung transparent. Unsere Leser können diese Korrekturen an einem Sternchen mit entsprechender Fußnote erkennen. Die Publikationen der Stiftung werden jedoch vor Veröffentlichung in einer aufwendigen Verifikation überprüft, sodass Korrekturen zwar regelmäßig, aber nicht sehr oft vorkommen.
baby&junior: Welche rechtlichen Schritte unternehmen Sie, wenn ein Hersteller Ihre Testergebnisse öffentlich in Frage stellt oder als „fehlerhaft“ bezeichnet?
Dr. Axel Neisser: Grundsätzlich begrüßen wir jede Auseinandersetzung mit unserer Arbeit und mit unseren Testergebnissen, auch eine kritische. Wir sind der Meinung, dass dieser Diskurs v. a. dabei hilft, Produkte aber auch die Testverfahren für diese Produkte noch besser zu machen.