27.10.21 – Gastkommentar

New Normal: Neue Maßstäbe im stationären Handel

Konsumenten haben in der Pandemie ihr Verhalten geändert, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Individualisierung tun ihr Übriges im New Normal. Welchen Einfluss hat das auf das Geschäftsmodell von Händlern? Ein Kommentar von Dr. Johannes Berentzen, Dr. Wieselhuber & Partner.

Digital-Handel.jpeg

Das Einkaufsverhalten hat sich in der Pandemie gewandelt – neue Handelsformate bieten stationären Händlern Möglichkeiten, ihre Zukunft zu sichern. © WavebreakMediaMicro - stock.adobe.com

 
Dr-Johannes-BerentzenDr.jpg

Dr. Johannes Berentzen von der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner © Dr. Wieselhuber & Partner

 

Bekanntlich ist der Mensch ein Gewohnheitstier. Doch: Nach der Pandemie wird nicht alles so sein wie vorher. Ja, Globalisierung und Megatrends wie Neue Mobilität und Neue Technologien werden weiterhin eine bedeutende Rolle spielen. Und auch das Thema Nachhaltigkeit – durch die Krise medial in den Hintergrund gerückt – wird Medien, Politik, Unternehmen und Konsumwelt als Leitthema der Gesellschaft stark beschäftigen. Das Verhalten der Konsumenten hat sich jedoch in den vergangenen Monaten stark verändert, einige Trends wurden durch die Krise beschleunigt, andere sind in dieser Zeit erst an die Oberfläche getreten. Dies hat gravierende Auswirkungen für die zukünftige Ausrichtung erfolgreicher Geschäftsmodelle im New Normal des Handels.

Transformation im Handel

 Das „Gewohnheitstier“ macht Ausnahmen

In der Krise erzwungene oder begünstigte Verhaltensveränderungen, die auf erlebte Zufriedenheit treffen, können zu langfristigen Anpassungen führen. Beispiele hierfür: Der nachhaltige Wunsch nach Home Office, die Verminderung von Einkaufszeiten durch One-Stop-Shopping oder die Bequemlichkeit von Online-Einkäufen. Selbst hartgesottene Verfechter des stationären Einkaufens haben zumindest während der Lockdowns vielfach E-Commerce-Erfahrungen gemacht und waren zum Teil positiv überrascht.

Der Online-Handel blüht weiter

Der Online-Handel wird auch deshalb über alle Bereiche hinweg weiter zunehmen und etabliert sich selbst in bisher stark stationär geprägten Branchen wie LEH und DIY als bedeutender Absatzkanal. In allen Handelsbereichen sind hohe Wachstumsraten zu verzeichnen und vieles deutet darauf hin, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird. In der Folge müssen sich Händler auf den stationären Flächen auch langfristig auf geringere Frequenzen einstellen.

Anonymer Regalverkauf war gestern - Inszenierung auf der Fläche zählt

Die Flächennutzung im Handel muss sich deutlich verändern. Während der Krise standen Hygiene, Abstand, Effizienz und Verfügbarkeit im Vordergrund – jetzt sind es Themen wie Erlebnis, Inspiration und Einkauf als soziales Event. Hohe Leerstände in den Innenstädten bieten Chancen für Pop Up-Stores mit kurzfristigen Markeninszenierungen oder Neuproduktvorstellungen. Dieses Feld muss nicht allein den Herstellern überlassen werden.

Die Markenloyalität nimmt ab

Insbesondere bei der jungen Zielgruppe zeigt sich eine hohe Experimentierfreude und die Abkehr von den Lieblingsmarken der Eltern. Influencer, Foodblogger und (virtuelle) Freundeskreise haben hohen Einfluss auf das Konsumverhalten der jungen Generation. Viele Händler haben darauf bereits reagiert und bieten Start-ups und Innovationsführern mehr Raum zu deutlich vergünstigten Konditionen. Wie profitabel das Geschäft im Vergleich zu den etablierten Herstellern langfristig ist, muss sich erst noch zeigen.

D2C-Geschäfte sind auf dem Vormarsch

Hersteller werden auch nach der Krise ihre Kontakte zum Endverbraucher weiter intensivieren, nicht nur um mehr über ihn zu erfahren, sondern auch um direkt an ihn zu verkaufen. In der Sportbekleidung machen Adidas und Nike schon lange vor, wie erfolgreich und gleichzeitig wie gefährlich für den Multibrand-Sportfachhandel so etwas sein kann. Insbesondere starke Marken werden dem Machtgefälle des Handels zumindest teilweise durch solche D2C-Geschäfte etwas entgegensetzen wollen.

Was folgt daraus?

Für Händler und Hersteller heißt es nicht „back to normal“, sondern konsequente Antizipation der durch die Pandemie herbeigeführten Verhaltensveränderungen. Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Individualisierung werden das Konsumentenverhalten im New Normal prägen. Hinzu kommt: Der Wunsch nach Erlebnis, Inspiration und sozialem Event. Dies legt neue Maßstäbe für stationäre Einkäufe fest. Eine reine Versorgungsfunktion zum Bestpreis kann der Online-Handel aus Sicht des Verbrauchers mindestens genauso gut einnehmen. Zusätzlich geht der Konsument davon aus, dass der Händler das Cross Channel-1x1 beherrscht.

Doch wie viele etablierte stationäre Händler werden diesen Veränderungsprozess überleben? Chancen für neue Handelsformate gibt es genug: Denn bei zahlreichen Produkten spielt Beratung nach wie vor eine große Rolle, ebenso das Anschauen, Ausprobieren und Befühlen der Ware. Erlebnis beim Einkaufen heißt Genuss mit allen Sinnen, Emotion, Attraktion und persönliche Interaktion. Das lässt sich auch im New Normal nicht so einfach auf einem Bildschirm bewerkstelligen.