08.09.25 – Gastbeitrag von Sebastian Rahmel, Gründer der eCommerce-Beratung encurio GmbH
KI als Kompass für Einkaufsabteilungen
KI birgt großes Potenzial für Handelsunternehmen, insbesondere in den Bereichen Einkauf und Eigenmarkenmanagement sowie der Sortimentssteuerung. In unserem Gastbeitrag erläutert KI-Architekt und Gründer der eCommerce-Beratung encurio GmbH, Sebastian Rahmel, anhand eines Praxisbeispiels, welche konkreten Schritte Effizienzgewinne und Umsatzsteigerungen einfahren.
Nach Angaben des aktuellen HDE-Online-Monitors planen etwa 50 % der Handelsunternehmen in Deutschland den Einsatz von KI in den Bereichen Category Management, Einkauf und Eigenmarke. Die tatsächliche Nutzung beträgt Stand heute allerdings nur 27 %. Dabei belegt die Praxis, dass KI-gestützte Systeme herkömmlichen Methoden wie der ABC-Analyse klar überlegen sind: „Automatisierte Dashboards für Lagerhaltung und Nachbestellung, dynamische Preisstrategien und intelligente Abverkaufssteuerung machen den Weg frei für datengetriebene, proaktive und stetige Sortimentsanpassungen“, resümiert Sebastian Rahmel.
Jüngst begleitete er ein Unternehmen bei der Implementierung KI-getriebener Sortimentsoptimierung und prädiktiver Analysen. Durch die KI-gestützte Pricing-Automatisierung erzielte die Firma achtstellige Mehrerlöse und steigerte ihre Marktplatzumsätze um bis zu 25 %. Intelligente Preissteuerung unterstützt Unternehmen darin, das Umsatzpotenzial ihrer Top-Produkte (20 %) auszuschöpfen und hebt auch das Potenzial der oftmals vernachlässigten 80 %. Überbestände wurden ab- und Bestände des Kernsortiments bewusst aufgebaut. KI-gestützte Prognosen und Auswertungen befähigten dahingehend, Strategien tagesaktuell zu justieren und schnell auf Marktveränderungen zu reagieren. Der Weg zum Erfolg verlief jedoch alles andere als geradlinig: Skepsis auf Unternehmensseite, technische Hürden, Fehlschläge durch falsche Ansätze und die Herausforderung, mit Halluzinationen umzugehen, machten mehrere Anläufe notwendig – begleitet von intensiver Datenaufbereitung und umfassenden Schulungen der Mitarbeitenden.
KI braucht Kulturwandel
Ursachen für die bislang geringe Verbreitung von KI im Handel liegen weniger im technischen oder rechtlichen Bereich, sondern fußen auf menschlichen und organisationalen Faktoren. Viele Mitarbeitende und Führungskräfte begegnen KI noch immer misstrauisch oder gar ablehnend – aus Unkenntnis oder aufgrund der Befürchtung, ihren Job zu verlieren. Silodenken, Eigeninteressen und fehlendes Verständnis für die gesamtunternehmerischen Interessen bremsen KI-Projekte häufig stärker aus als prioritäre Datenschutz- oder IT-Sicherheitsfragen. Das unterstreicht die Bedeutung eines gelungenen Change-Managements für die KI-Transformation; noch vor der Bewältigung technologischer Herausforderungen. Projektverantwortliche, die eine offene und planvolle Kommunikationsstrategie pflegen, Stakeholder ins Boot holen und die Vorteile für die Gesamtorganisation offen legen, erhöhen die Erfolgschancen, dass die KI-Einführung glückt.
Customer Insights to Wertschöpfung
KI-basierte Kundenfeedbackanalysen, Rezensionen und Echtzeit-Marktdaten sind heute die zentralen Hebel, um Sortimentslücken zu identifizieren und Produktdesigns entlang der Verbraucherbedürfnisse zu verbessern. Die bereits erwähnte Firma setzte spezialisierte Softwarelösungen ein, die alle verfügbaren Online-Reviews und Social-Media-Daten automatisiert untersuchte und clusterte. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse flossen gleichermaßen in die Produktentwicklung und Servicegestaltung sowie das Qualitätsmanagement ein; etwa durch Nachjustierung von Produktdetails oder Optimierung des Customer Supports. Abhängig vom Produktlebenszyklus erzielen Unternehmen keine Quick- sondern Long-Term-Wins. Der direkte Kundenzugang allerdings macht jede Etappe wertvoll und gewährleistet langfristige Lernerfolge.
„Zufriedene Kunden um eine Bewertung bitten, kann hingegen eine kurzfristige Maßnahmen sein, um Online-Rezensionen aufzuwerten – beispielsweise von 4,2 auf 4,4 Sterne bei einem sechsstelligen Bewertungsvolumina. Monetäre Effekte wie Umsatz- und Margensteigerung stellen sich frühestens nach mehreren Monaten ein. Kontinuierliche Qualitätsverbesserung und Markenaufbau sorgen hier allerdings für einen langfristig gesunden Umsatz- und Gewinnzuwachs“, erklärt Sebastian Rahmel.
Eigenmarke for the win
Im Einkauf und der Eigenmarkensteuerung bewirkt der KI-Einsatz höhere Abverkaufsquoten, präzisere Einkaufsprognosen und eine systematische Sortimentssteuerung. Eigenmarken profitieren besonders von der beschleunigten Identifikation einträglicher Nischen und der datengetriebenen Produktentwicklung. Einem Double Check bedürfen KI-Entscheidungen jedoch unbedingt: Erste Ergebnisse bergen oftmals Fehler oder spiegeln Halluzinationen wider, sofern die Datenbasis nicht stimmt. Unternehmen müssen die Systeme in diesem Fall bis zu ihrer nachweislichen Belastbarkeit anpassen. Human-in-the-Loop-Prinzipien und Explainable-AI-Ansätze sind essentiell, um Fehlsteuerungen und Vertrauensverluste zu vermeiden.
Neben der Sortimentsauswahl und Preissteuerung lassen sich auch Cross- und Upselling-Maßnahmen skalieren. Einmal eingerichtet, laufen viele der genannten Prozesse autonom und erlauben es, Ressourcen auf wertschöpfende Aufgaben zu lenken. Das entlastet Mitarbeitende und der Bedarf an manuellen Routinearbeiten sinkt spürbar. Das beschriebene Unternehmen sparte darüber bis zu 30 % Personalstunden ein, während die Verfügbarkeit der Top-Produkte stieg und das Unternehmen bei B- und C-Produkten exorbitante Umsatzsprünge erwirtschaftete.
Mitarbeitende einbinden
Technische Hürden wie Datenqualität oder Systemintegration sind nicht immer das Hauptproblem in puncto KI-Integration. In vielen Fällen reichen schon vorhandene Datenformate aus, um KI-Pilotprojekte wirksam anzustoßen. Vielmehr gilt es, vom Wandel Betroffene von Beginn an einzubinden und transparent zu vermitteln, was KI leisten soll und welche Rolle die Mitarbeitenden in diesem Mensch-KI-Konstrukt übernehmen. Zu den typischen Fehlern auf Organisationsseite zählen mangelnde Kommunikation, fehlende Integration der verschiedenen Interessensgruppen und unzureichende Unterstützung für die Teams. Frühzeitige und fortwährende Information der Belegschaft, partizipative Projektgestaltung, niedrigschwellige Einstiegsszenarien mit Quick Wins sowie Qualifizierung und Befähigung der Mitarbeitenden im Umgang mit KI gehören zu den ausschlaggebenden Erfolgsparametern. Wichtiger als Perfektion ist der erste Schritt. Fehler zählen zum Prozess und der strategische Gewinn gleicht Startschwierigkeiten aus.
„Erfolgsweisend ist nicht die Technologie allein, sondern der Mensch im Mittelpunkt. Unternehmen, die Change-Management, Stakeholder-Integration und Human-in-the-Loop ernst nehmen, generieren per KI-Einsatz schon in kurzer Zeit signifikante Mehrwerte in puncto Umsatz, Prozesseffizienz und Kundenbindung. KI-Implementierung heißt, aktiv zu steuern, welche Entscheidungen delegiert gehören und welche in menschlicher Hand bleiben. Viele Projekte scheitern an überzogener Eile, mangelnder Konsequenz oder fehlendem Durchhaltevermögen. Die besten Ergebnisse entstehen dort, wo Tech-Innovation und gelebte Zusammenarbeit ineinandergreifen“, fasst Rahmel abschließend zusammen.
Zur CustomGPT
Um Handelsunternehmen den Einstieg in KI-gestützten Einkauf und Sortimentssteuerung zu erleichtern, entwickelte Sebastian Rahmel eine CustomGPT. Der KI-Coach beantwortet dringende Fragen, spricht Handlungsempfehlungen aus und begleitet Mittelständler bei der Einführung KI-getriebener Prozesse im Tagesgeschäft. Dahinter steckt eine Wissensdatenbank, die jahrelange Praxiserfahrung im E-Commerce mit erprobten Lösungsstrategien und KI-Ansätzen bündelt.